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Pressemitteilung

Das Darmmikrobiom: eine «Kristallkugel» zur Vorhersage von Multipler Sklerose  

LIH-Studie entdeckt Risikofaktoren des Darmmikrobioms zur Vorhersage von Krankheiten  

15 Juli 2024 6minuten

In einer bahnbrechenden Studie hat die Forschungsgruppe Ernährung, Mikrobiom & Immunität der LIH-Abteilung für Infektion und Immunität (DII) die komplexe Beziehung zwischen dem Darmmikrobiom und der neurodegenerativen Krankheit Multiple Sklerose (MS) aufgeklärt. Die neue Studie zeigt, dass bestimmte Faktoren des Darmmikrobioms die Anfälligkeit und das Fortschreiten dieser schwächenden Autoimmunerkrankung vorhersagen könnten. Die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Microbiology veröffentlichte Studie identifiziert mikrobielle „Risikofaktoren“ oder „Biomarker“ zur Vorhersage der Entwicklung und des Schweregrads von MS, was wichtige Auswirkungen auf die Diagnose und Behandlung der Krankheit hat.


MS ist eine entzündliche, demyelinisierende Erkrankung, von der schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen weltweit betroffen sind. Sie ist das Ergebnis eines Autoimmunangriffs auf das Myelin, die fettige Isolierung, die die Nerven im Gehirn und im Rückenmark umgibt. Dadurch werden die elektrischen Impulse, die durch die Nerven an den Rest des Körpers gesendet werden, unterbrochen, und es entstehen Narben, die als Plaques oder Sklerose bekannt sind. Die Identifizierung von Parametern, die zur Vorhersage des MS-Erkrankungsrisikos herangezogen werden können, ist ein wichtiger Forschungsbereich, da nur wenig über die potenziellen Risikoprädiktoren bekannt ist. In jüngster Zeit wurde das Darmmikrobiom mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht, wobei bei MS-Patienten im Vergleich zu gesunden Personen erhebliche Unterschiede in seiner Zusammensetzung festgestellt wurden. Die kausale und funktionelle Rolle spezifischer mikrobieller Risikofaktoren für den Ausbruch der Krankheit ist jedoch nach wie vor nicht klar.

Um festzustellen, ob die Zusammensetzung des Darmmikrobioms eine Vorhersage über die Anfälligkeit oder das Fortschreiten von MS zulässt, hat das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Mahesh Desai vom LIH ein präklinisches MS-Modell, die experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis (EAE), verwendet, um die mit dem Darmmikrobiom verbundenen funktionellen Reaktionen sowie die Auswirkungen des Darmmikrobioms auf das Wirtsimmunsystem zu untersuchen. «Mit diesem Ansatz konnten wir besser untersuchen, wie individuelle Wirt-Mikroben-Interaktionen die Vorhersagbarkeit von Krankheiten beeinflussen, und so die Grenzen von Ansätzen überwinden, die nur die relativen Häufigkeiten von Bakterienarten zwischen MS-Betroffenen und Gesunden betrachten und die die beobachteten individuellen Unterschiede in der Krankheitsanfälligkeit und im Krankheitsverlauf nicht erklären können», erklärt Prof. Desai, Leiter der Forschungsgruppe Ernährung, Mikrobiom & Immunität am LIH und Hauptautor der Veröffentlichung. «Vorhersagen über den Krankheitsverlauf auf der Grundlage von Merkmalen der Mikrobiota sind zwar generell möglich, aber es ist nicht so einfach, wie das Vorhandensein oder die Häufigkeit von Gemeinschaftsmitgliedern zu erfassen».

Durch den Einsatz eines präklinischen MS-Modells bei Mäusen mit unterschiedlichem genetischen Hintergrund und unterschiedlicher komplexer Mikrobiota beleuchteten die Forscher die doppelte Rolle eines bestimmten Bakteriums, nämlich Akkermansia muciniphila, dessen Häufigkeit in mehreren MS-Kohorten in verschiedenen Teilen der Welt positiv mit der Erkrankung bei MS-Patienten korreliert wurde. In der vorliegenden Studie untersuchte das Team die kausale Rolle dieses Bakteriums und stellte fest, dass es bei Mäusen mit einer bestimmten Zusammensetzung des Mikrobioms mit einer weniger schweren Krankheitsentwicklung verbunden ist, aber auch mit einer erhöhten Krankheitsschwere in Gegenwart anderer Bakterien.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Auswirkung spezifischer Bakterien auf MS vom breiteren Kontext der mikrobiellen Gemeinschaft abhängen kann, und dass die Betrachtung von Kombinationen von Spezies oder mikrobiellen Netzwerken und nicht nur einzelner Spezies für die Vorhersage von Krankheitsverläufen bei unterschiedlichen Mikrobiota-Zusammensetzungen von wesentlicher Bedeutung ist

fügt er hinzu.

Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse erhebliche interindividuelle Unterschiede im Krankheitsverlauf, selbst bei genetisch ähnlichen Mäusen mit identischer Mikrobiota, was die wichtige Frage aufwirft, wie eine personalisierte Krankheitsvorhersage möglich gemacht werden könnte.

Wichtig ist, dass das Team herausfand, dass ein bestimmtes Individuum eine schwerere Krankheit entwickelt, wenn bestimmte «Reporterbakterien» vor dem Ausbruch der Krankheit deutlich stärker mit dem vom Wirt ausgeschiedenen Immunglobulin A (IgA) beschichtet werden. Die Ergebnisse deuten daher auf das Potenzial dieses Markers als Prognose- und Diagnoseinstrument hin, das neue Wege für personalisierte diagnostische und therapeutische Strategien eröffnet, die auf die Darmmikrobiota abzielen.

Die Studie hat wichtige klinische Auswirkungen. Prof. Desai erklärt: «Auf der Grundlage unserer Ergebnisse planen wir derzeit den Aufbau einer MS-Patientenkohorte am Centre Hospitalier de Luxembourg, um unsere Erkenntnisse in die klinische Praxis zu übertragen. Diese Arbeit wird auch wichtige Erkenntnisse für das Flaggschiffprojekt Clinnova des LIH liefern, bei dem MS eine der Schlüsselkrankheiten ist».

Der Forschungsartikel wurde in der renommierten Fachzeitschrift Nature Microbiology unter dem vollständigen Titel «Gut microbial factors predict disease severity in a mouse model of multiple sclerosis» (https://doi.org/10.1038/s41564-024-01761-3) veröffentlicht.

Finanzierung und Kooperationen

An der Studie waren mehrere Mitglieder des Forschungsteams von Prof. Desai beteiligt, darunter die Forscher Dr. Alex Steimle, Dr. Mareike Neumann und Dr. Erica T. Grant. Die Forschung wurde in Zusammenarbeit mit dem RIKEN Center for Integrative Medical Sciences, Japan, und dem Institute for Advanced Biosciences der Keio University, Japan, durchgeführt. Die Studie wurde vom Luxemburger Nationalen Forschungsfonds, der Fondation du Pélican de Mie et Pierre Hippert-Faber (Fondation de Luxembourg) sowie von der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) KAKENHI, JST ERATO, der Lotte Foundation, AMED-CREST, der Food Science Institute Foundation und der Astellas Foundation for Research on Metabolic Disorders finanziert.

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