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Atypische Opioidrezeptoren: eine vielversprechende neue Perspektive im Schmerzmanagement

Wissenschaftler des LIH erörtern das Potenzial atypischer Opioidrezeptoren für die Bewältigung der Opioidkrise

24 November 2021 5minuten

In einem kürzlich veröffentlichten Review-Artikel erörtern Forschende aus der Forschungsgruppe Immuno-Pharmacology and Interactomics des Department of Infection and Immunity am LIH das aktuelle Verständnis atypischer Opioidrezeptoren und die Perspektiven für ihre eventuelle Nutzung als alternative Targets für das Schmerzmanagement sowie zur Behandlung von Angstzuständen und Depressionen. 

Die Verwendung von Opioiden wie Morphium und Codein aufgrund ihrer schmerzlindernden Eigenschaften reicht bis in die Antike zurück. Opioidhaltige Arzneimittel haben sich als äußerst wirksam gegen mittlere bis starke akute und chronische Schmerzen erwiesen und gehören heute im klinischen Bereich zu den am häufigsten eingesetzten Analgetika. Doch während opioidhaltige Arzneimittel im Schmerzmanagement äußerst nützlich sind, steht ihrem Einsatz bei einigen Anwendungen ein im Verhältnis zum Risiko eher begrenzter Nutzen entgegen. Die Verwendung von Opioiden kann zahlreiche Nebenwirkungen haben (z. B. Übelkeit/Erbrechen, Juckreiz, Atemdepression usw.) und auch zu einer Abhängigkeit führen, die größtenteils für die dramatische Zunahme des Opioidkonsums und von Todesfällen durch Überdosierung verantwortlich ist, die auch als Opioidkrise bezeichnet wird. Eine wiederholte Anwendung von Opioiden wird auch mit einer raschen Toleranz in Verbindung gebracht (d. h., die Dosis muss gesteigert werden, um die gleiche schmerzlindernde Wirkung zu erzielen). Deshalb war es erforderlich, nach opioidhaltigen Arzneimitteln mit anderen pharmakologischen Profilen zu suchen, die das schmerzlindernde Potenzial von Opioidrezeptoren ausschöpfen, gleichzeitig jedoch die Entstehung der mit ihnen verbundenen Nebenwirkungen begrenzen.

Endogene, d. h. vom Körper selbst erzeugte Opioidpeptide und verschreibungspflichtige opioidhaltige Arzneimittel modulieren Schmerzen, Angstzustände und Stress, indem sie vier spezifische Opioidrezeptoren aktivieren. Allerdings werden durch endogene Opioidpeptide auch mehrere andere Rezeptoren aktiviert und beeinflussen die durch Opioide gesteuerte Signalweiterleitung und Biologie. Interessanterweise erfüllen sie nicht die Kriterien, um als Opioidrezeptoren anerkannt zu werden, da sie phylogenetisch weit von ihnen entfernt und unempfindlich gegenüber klassischen, nicht selektiven Opioidrezeptor-Antagonisten sind. Diese atypischen Opioidrezeptoren könnten jedoch als alternative Targets für die Entwicklung sichererer Schmerzmittel genutzt werden.


In einem kürzlich veröffentlichten Review fassten Dr. Andy Chevigné und Dr. Martyna Szpakowska von der Forschungsgruppe Immuno-Pharmacology and Interactomics des Department of Infection and Immunity am LIH die Bedeutung dieser alternativen Rezeptoren für opioidbezogene Störungen zusammen und erörterten deren unkonventionelle Biologie, um einen Überblick über ihre bisherige und sich neu abzeichnende Rolle in der Pharmakologie im Kontext des Schmerzmanagements sowie ihre klinische Relevanz als alternative Targets zur Überwindung der Probleme bei chronischer Opioideinnahme zu geben.

Der Artikel beschreibt, dass trotz der Abweichungen, aufgrund derer diese Opioidrezeptoren als atypisch eingestuft wurden, maßgebliche evidenzbasierte präklinische Daten vorliegen, nach denen diese Klasse von Rezeptoren Opioidpeptide selektiv binden und in der Lage sind, opioidbezogene Phänotypen direkt zu beeinflussen, darunter auch Schmerzwahrnehmung und Ängste, was ihre Rolle als Opioidrezeptoren stützt. Diese Rezeptoren haben aber auch andere, nicht opioidbezogene Funktionen, u. a. bei der Erweiterung der Blutgefäße oder der exzitatorischen Neurotransmission. Die Gruppe weist darauf hin, dass die potenziellen Nebenwirkungen, die mit der Hemmung oder Potenzierung atypischer Opioidrezeptoren in Verbindung gebracht werden, sowohl auf der Grundlage ihrer Primärfunktionen als auch ihrer opioidbezogenen Verhaltensweisen betrachtet werden sollten.

Die Wahl atypischer Opioidrezeptoren als Target für spezifische Modulatoren bietet offensichtlich vielversprechende neue Perspektiven für Therapien, aber man weiß bisher nur sehr wenig über die Bedeutung dieser Rezeptoren im Hinblick auf opioidbezogene Störungen, und es stehen oft nur begrenzte pharmakologische Werkzeuge zur Verfügung“, erklärt Christie Palmer, Doktorandin in der Gruppe und Erstautorin. „Arzneimittel, die auf atypische Opioidrezeptoren als Targets ausgerichtet sind, haben ihre Wirksamkeit in verschiedenen Modellen gezeigt und neue und unerwartete Wege für die Arzneimittelentwicklung aufgezeigt, die auf Molekülen mit vollkommen anderen Wirkungsweisen und einer ganz anderen Pharmakologie beruhen als klassische Opioide. Opioidhaltige Arzneimittel mit schwacher Aktivität an atypischen Opioidrezeptoren könnten auch ein höheres Nutzen-Risiko-Verhältnis erzielen.“ 

Inzwischen sind viele atypische Opioidrezeptoren in gewissem Umfang im Zusammenhang mit Schmerzen, Angstzuständen, Gedächtnisleistung und anderen opioidbezogenen Phänotypen bewertet worden, und es liegen starke evidenzbasierte Daten aus dem präklinischen Bereich für ihre Relevanz als alternatives Mittel zur Modulierung von Opioidmechanismen vor. Während die Familie der Opioidrezeptoren derzeit auf vier Mitglieder beschränkt ist, gestattet die These einer Unterfamilie atypischer Opioidrezeptoren einen erweiterten Überblick über die möglichen Akteure, die an opioidbezogenen Störungen beteiligt sind. Die Gruppe vertritt die Auffassung, dass sich aus der umfangreichen Charakterisierung und der Nutzung der vielfältigen Varianten dieser Rezeptoren neue therapeutische Möglichkeiten in Direkt- oder Kombinationstherapien ergeben könnten, um, so die Hoffnung, die Auswahl anerkannter, mit Opioiden verbundener Arzneimittel zu verbreitern und zu verbessern.

Atypische Opioidrezeptoren scheinen insgesamt vielversprechende neue pharmakologische Targets zu sein, doch es müssen noch erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um zu klären und genauer zu bestimmen, welche Rolle sie in der Schmerzmodulation, bei Angstzuständen und Depressionen spielen können. Hierzu gehören auch die Modulation dieser Symptome, allein oder in Kombination mit Arzneimitteln, die auf klassische Opioidrezeptoren als Targets ausgerichtet sind, sowie potenzielle Nebenwirkungen sowohl in präklinischen Modellen als auch in Studien am Menschen,

fasst Dr. Martyna Szpakowska, Senior Author des Artikels, zusammen.

Der Review wurde im November in der renommierten Fachzeitschrift Pharmacology and Therapeutics mit dem vollständigen Titel „Atypical opioid receptors: unconventional biology and therapeutic opportunities“ und mit Christie Palmer (FNR-AFR Fellow) als Erstautorin und Max Meyrath als Zweitautor veröffentlicht. Diese Arbeit ist Teil des Netzwerks MSCA-ITN Oncornet2.0 (https://oncornet.eu/) und ein Kooperationsprojekt mit der University of Nottingham und der Universität Bonn.

Scientific Contact

  • Dr Andy
    Chevigné
    Group Leader, Immuno-Pharmacology and Interactomics

    Department of Infection and Immunity Luxembourg Institute of Health

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  • Dr Martyna
    Szpakowska
    Scientist, Immuno-Pharmacology and Interactomics

    Department of Infection and Immunity Luxembourg Institute of Health

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